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Soziale Arbeit in Brandenburg

Ob Krankheit, Schulden, Sucht, Schwangerschaft, Arbeitslosigkeit, drohende Wohnungslosigkeit, Paar- oder Erziehungsprobleme – es gibt Ereignisse im Leben, die Menschen vor Fragen stellen, die sie allein nicht beantworten können. Wenn Menschen in schwierigen Lebenslagen nicht mehr weiter wissen, können soziale Beratungsangebote wertvolle Hilfe leisten. Die Einrichtungen der sozialen Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege in Brandenburg bieten seit vielen Jahren ein festes Netz der sozialen Hilfen in Brandenburg. Wie wertvoll diese Arbeit ist, zeigen wir Ihnen hier.

Schulden- und Insolvenzberatung – Den Schuldenberg gemeinsam bezwingen

Seit ihrer Gründung im Jahr 2001 ist die Anzahl der hilfesuchenden Klient*innen der Schulden-und Insolvenzberatung in Luckenwalde stetig angestiegen. Ina Albers erklärt, womit das zusammenhängt und wie sie und ihre Kolleg*innen helfen.

Für viele Menschen ist eine finanzielle Notlage, wie eine hohe Verschuldung oder eine Insolvenzanmeldung, ein Albtraum. Für einige bleibt es einer, für andere gehört es zur Realität, die sie nicht wahrhaben wollen, oder aus der sie alleine nicht mehr herauskommen. Genau hier beginnt die Arbeit von Ina Albers, sie leitet die Schulden-und Insolvenzberatung des Diakonischen Werkes Teltow-Fläming. Bereits seit 2013 berät und unterstützt sie Menschen bei der Bewältigung von hohem Schuldenaufkommen oder der Insolvenzanmeldung. (657 o Lz.)

Das für die Hilfesuchenden kostenfreie Angebot stellt sich komplett auf die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen ein. Einige kommen in die Beratungsstelle, um sich Informationen einzuholen, damit sie dann selbst ihre Angelegenheiten regeln können. Das ist nur bei kleineren Problemen der Fall. Oft sitzt Ina Albers jedoch Menschen gegenüber, die zu hoch verschuldet sind, um selbst aus der Krise zu kommen. In diesem Fall arbeiten Ina Albers und ihre Kolleg*innen gemeinsam mit den Betroffenen an einer langfristigen Existenzsicherung. Ziel ist es, dass das Einkommen die Ausgaben deckt und so der Lebensunterhalt möglichst dauerhaft gesichert ist. Sind diese Dinge gefestigt, wird gemeinsam überlegt, wie die Schulden beglichen und Gläubigern ihr Geld zurückgezahlt werden kann, beispielsweise mit einer Ratenzahlung. In manchen Situationen vertreten die Berater*innen der Schulden- und Insolvenzberatung hierbei auch die Klient*innen. „Wir bringen erst einmal Ordnung rein, verschaffen dadurch einen Überblick und versuchen systematisch Strategien zu entwickeln. So können eine langfristige Regulierung und Perspektiven geschaffen werden. Wenn man das alleine versucht oder über Jahre mit den Schulden gelebt hat, dann fehlt dieser weitsichtige Blick“, erklärt Ina Albers.

Wenn die Klient*innen nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügen, geht die Schuldenberatung in eine Insolvenzberatung über. Auch hier wird sowohl beim Insolvenzantrag unterstützt als auch in der Nachbereitung und bei akuten Rückfragen. Dieser Prozess kann bis zu einem Jahr oder länger andauern. Das hängt nicht nur mit der oft vorhandenen Komplexität der Verschuldung zusammen, sondern auch mit dem Aufbau einer Vertrauensbasis. Scham und Schuldgefühle spielen eine große Rolle. Um als Berater*in bei dem hilfesuchenden Menschen einen Fuß in die Tür zu bekommen, ist der persönliche Kontakt unabdingbar. „In diesen ersten Gesprächen fragen wir ganz allgemein worum es geht und geben basierend darauf viele Informationen. Darüber sind alle Klient*innen sehr dankbar. Man merkt sofort, wie die Anspannung vom Anfang abfällt, da viele gar nicht denken, dass wir bereits so niedrigschwellig unterstützen können“, erklärt Ina Albers.

Doch nicht nur die Chemie zwischen Berater*in und Klient*in muss stimmen. Auch das Umfeld der Verschuldeten ist entscheidend. Hinter einem hohen Schuldenaufkommen steckt beispielsweise nicht selten ein Suchtproblem. „Es ist schwierig mit jemandem zu arbeiten, der in seiner Sucht unbeständig ist und keine Verantwortung übernehmen kann“, weiß die langjährige Leiterin der Beratungsstelle. Daher arbeiten die umliegenden Beratungsstellen eng miteinander zusammen, denn nicht nur Sucht ist ein zusätzliches Problem, das immer wieder auftritt. Häufig kommt eine hohe psychische Belastung bei den Klient*innen dazu. Aus diesem Grund haben Ina Albers und ihre Kolleg*innen im Laufe der Zeit wichtige Kontakte zu Erziehungsberatungen, Jugendämtern oder auch zum sozialpsychiatrischen Dienst in der Region geknüpft. „Wir konzentrieren uns auf den Fall und profitieren voneinander. Am Ende ist es für alle am Wichtigsten, dass es den Menschen besser geht.“

Im Jahr betreut die Schulden-und Insolvenzberatung in Luckenwalde etwa 500 bis 600 Klient*innen. Etwa ein Drittel davon sind längerfristige Beratungen, während der andere Teil nur eine Kurzberatung benötigt, die sich auf maximal drei Beratungsstunden beschränkt. Die Klient*innen kommen aus den unterschiedlichsten Schichten und Lebenssituationen. Ein großer Teil befindet sich im Sozialleistungsbezug. Auch Scheidungen sind ein häufiger Grund für eine Verschuldung. Die meisten Ratsuchenden befinden sich im Alter zwischen 35 und 45 Jahren. Auffällig ist jedoch, dass die Anzahl der älteren Menschen, die sich auf einem Schuldenberg wiederfinden, in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. „Solange ein regelmäßiges Einkommen da ist, funktioniert alles. Durch die immer geringer ausfallenden Renten jedoch können manchmal selbst kleine Verbindlichkeiten einfach nicht mehr gezahlt werden. Viele müssen dann auf die Grundsicherung zurückgreifen, um die Lebenshaltungskosten zu bestreiten“, erklärt Ina Albers diese Veränderung.

Denn die Lebenshaltungskosten steigen stetig, selbst Lebensmittel sind in jüngster Zeit teurer geworden. Dazu kommen steigende Mieten und Energiekosten. Durch die Corona-Krise hat sich diese Situation noch mehr verschärft. Zudem bekommen viele ältere Menschen in Brandenburg eine geringe Rente, nicht zuletzt auch durch die ihre Wurzeln in der DDR. Davon ist insbesondere der ländliche Raum stark betroffen. Die Unterstützung vom Sozialleistungsträger hilft zwar, jedoch leben viele Seniorinnen und Senioren am Minimum. Laut Ina Albers eine gesellschaftliche Tendenz, die sich in den letzten Jahren verschlimmert hat. „Bei Familien kommt noch ein gewisser Konsum-Druck von außen hinzu. Es sind ganz viele Reize vorhanden, denn man will den Kindern etwas bieten und dann selbst auch daran teilhaben. Das ist natürlich nicht auf Dauer möglich, wenn man von Sozialleistungen leben muss.“

Was die Schulden- und Insolvenzberatungsstelle in Luckenwalde leistet, ist daher nicht nur für den individuellen Menschen eine enorme Hilfe, sondern hat gleichermaßen einen hohen gesellschaftlichen Wert und trägt zusätzlich zu einer Entlastung der Sozialkassen bei. Menschen, die begleitet und betreut werden, können wieder schuldenfrei am normalen Leben teilhaben. „Der Landkreis Teltow-Fläming investiert in uns, aber wir erwirtschaften im Gegenzug auch etwas, indem wir Menschen aus dem Sozialleistungsbezug rausfallen lassen oder Mietschulden und Verwaltungskosten vermeiden“, erklärt Sozialberaterin Ina Albers. „Mit unserer Hilfe kann man viel einsparen. Unsere Arbeit entlastet!“ Gerade ein Angebot wie die Schulden- und Insolvenzberatung ist ein kleiner, aber essentieller Baustein, um die gesellschaftliche Schere in Brandenburg nicht noch weiter auseinandergehen zu lassen. Die Auswirkungen von Schulden spiegeln sich in Form von Krankheiten und Armutszunahme wieder. Ina Albers und ihre Kolleg*innen agieren als ein Sprungbrett für die Menschen, die in ein normales, schuldenfreies Leben zurückkehren möchten.

Was die Schulden- und Insolvenzberatungsstelle in Luckenwalde leistet, ist daher nicht nur für den individuellen Menschen eine enorme Hilfe, sondern hat gleichermaßen einen hohen gesellschaftlichen Wert und trägt zusätzlich zu einer Entlastung der Sozialkassen bei. Menschen, die begleitet und betreut werden, können wieder schuldenfrei am normalen Leben teilhaben. „Der Landkreis Teltow-Fläming investiert in uns, aber wir erwirtschaften im Gegenzug auch etwas, indem wir Menschen aus dem Sozialleistungsbezug rausfallen lassen oder Mietschulden und Verwaltungskosten vermeiden“, erklärt Sozialberaterin Ina Albers. „Mit unserer Hilfe kann man viel einsparen. Unsere Arbeit entlastet!“ Gerade ein Angebot wie die Schulden- und Insolvenzberatung ist ein kleiner, aber essentieller Baustein, um die gesellschaftliche Schere in Brandenburg nicht noch weiter auseinandergehen zu lassen. Die Auswirkungen von Schulden spiegeln sich in Form von Krankheiten und Armutszunahme wieder. Ina Albers und ihre Kolleg*innen agieren als ein Sprungbrett für die Menschen, die in ein normales, schuldenfreies Leben zurückkehren möchten.

Kontakt

Diakonisches Werk Teltow-Fläming e.V.
Adresse Burg 22d
14943 Luckenwalde
Telefon 03371 401427
Albers.jpg
Unsere Arbeit zahlt sich aus. Wir helfen Menschen aus dem Sozialleistungsbezug und vermeiden weitere Schulden. Was wir tun, hilft den Sozialkassen und damit unserer Gesellschaft!
Ina Albers

Suchtberatung – Geduldige Wegbegleiter

Menschen aus der Sucht zu helfen ist eine Aufgabe, der sich Heike Langerwisch in der Suchtberatungsstelle Rathenow jeden Tag stellt. Dabei ist sowohl Geduld und Empathie als auch eine stetige Netzwerkarbeit gefragt.

Eine Suchtkrankheit ist nicht wie ein gebrochenes Bein, das nach der Heilung kaum Spuren hinterlässt. Wer einmal clean oder trocken ist, trägt die Sucht sein restliches Leben mit sich und hat die Gefahr des Rückfalls stetig im Nacken sitzen. Als Leiterin der Caritas Suchtberatungsstelle in Rathenow hilft Heike Langerwisch drogen-oder alkoholabhängigen Menschen nicht nur bei der Suchtbekämpfung, sondern unterstützt sie auch dabei, einen Rückfall zu vermeiden und ihr Leben langfristig in den Griff zu bekommen.

Viele der Klient*innen, die zu ihr geschickt werden, sind sich ihres Problems kaum bewusst und verdrängen ihre Sucht. Nur wenige merken von allein, dass sie dringend Hilfe benötigen. Wo setzt man also als Therapeut*in an? „Wir beginnen mit Einzelgesprächen und später laden wir eine Bezugsperson dazu. So geben wir Rückenstärkung in den Gesprächen und können uns gleichzeitig einen Überblick zum Umfeld verschaffen“, erklärt die Suchttherapeutin. Sie weiß, dass jeder, der zu ihr kommt und die Beratung nach dem Ersttermin fortsetzt, wirklich etwas an sich ändern möchte, auch wenn sie das am Anfang nicht immer zugeben oder realisieren.

Die Erfahrung zeigt, dass es ungefähr ein Fünftel der Klient*innen beim ersten Versuch nicht schaffen, von den Drogen oder vom Alkohol wegzukommen. Sie werden rückfällig und brechen die Beratung oder die Therapie ab. Viele kommen nach einiger Zeit wieder und die Vorarbeit hilft dann dabei, zu schnelleren und effektiven Ergebnissen zu kommen. „Es geht darum, die Menschen zu unterstützen, indem man herausfindet, was sie wirklich brauchen. Dazu muss man sie da abholen, wo sie sind“, erklärt Heike Langerwisch.

Oft geht sie in den ersten Gesprächen auf die Suche nach positiven Aspekten im Leben und auch wenn diese noch so klein sind haben sie einen enormen Wert. Sie bilden den Gegenpol zu den negativen Aspekten, die einen Menschen zum Konsum von Suchtmitteln bringen. Aus diesem Grund beendet Heike Langerwisch jedes Gespräch mit einem positiven Ausblick. Indem sie sich auf akute Situationen einlässt, schafft sie Stück für Stück eine Vertrauensbasis. „Wenn ich merke, dass es ein akutes Problem gibt, hat dieses Problem immer Vorrang, egal was ich vielleicht für das Gespräch geplant hatte. Zwar arbeite ich als Therapeutin, aber wenn derjenige zum Beispiel Hilfe bei der Kommunikation mit Ämtern braucht, dann helfe ich dabei. Dadurch merken die Leute, dass sie hier unterstützt werden und beginnen, sich wohlzufühlen.“

Parallel dazu werden die Angehörigen der Klient*innen während des gesamten Prozesses ebenfalls in Form von Gruppengesprächen unterstützt. Die Gruppe entsteht durch die Gespräche mit den Angehörigen. Wenn Heike Langerwisch und ihre Kolleg*innen merken, dass die Situation die Angehörigen belastet oder sie zu wenig über die Erkrankung wissen, wird ihnen der Austausch mit anderen Menschen, die in ähnlichen Situationen stecken, angeboten. So lernen sie, damit umzugehen und wie sie wirklich helfen können. „Da manche im Prozess schon weiter sind, findet ein informativer Austausch auf Augenhöhe statt. Das ist oft einfacher, als wenn wir als Therapeut*innen vorsichtig verschiedene Angebote und Wegweiser geben. Man hört es eben von Leuten, die es erlebt haben.“ Nachdem erfolgreiche Ansätze für den Weg aus der Sucht gefunden wurden, vermittelt die Beratungsstelle in eine Therapie. Ist die Behandlung erfolgreich, kehren sie zu einer sogenannten therapeutischen Nachsorge in die Beratungsstelle zurück. Hier versuchen sie nun, innerhalb von einem Jahr das Gelernte aus der Therapie umzusetzen.

Zwar ist die Betreuung der Klient*innen die Hauptaufgabe von Heike Langerwisch, doch ebenso wichtig für den Erfolg ihrer Arbeit ist der Kontakt zu anderen Einrichtungen, Kliniken und Reha-Angeboten. Ohne die Zusammenarbeit mit anderen Einrichtungen kann sie sich ihre Arbeit nicht vorstellen. Die Probleme - und somit auch die Ursache für ihr Suchproblem – sind oft vielschichtig. So hat Heike Langerwisch beispielsweise engen Kontakt zum Jobcenter, psychologischen Beratungsstellen und Therapeuten, sowie zu Eingliederungsprogrammen für Langzeitarbeitslose. Wenn den Einrichtungen ein eventuelles Suchtproblem auffällt, wird der Klient oder die Klientin in die Suchtberatungsstelle geschickt. Andersherum vermitteln die Kolleg*innen der Beratungsstelle ihre Klient*innen ebenfalls an Eingliederungsprogramme oder an eine psychologische Beratungsstelle weiter, sollte sich die Gelegenheit oder Notwendigkeit ergeben. Die wichtigsten Kontakte sind und bleiben jedoch die zu Kliniken und Reha-Einrichtungen. „Früher oder später habe ich immer eine Ahnung, welche Reha-Einrichtung am besten passen könnte. So kann ich gezielte Vorschläge machen und die gewählte Einrichtung zeitig antelefonieren, um den-oder diejenige auf die Warteliste zu setzen, ohne dass ein Antrag gestellt oder die Zusage da ist.“ Denn Entgiftungsbetten und Reha-Plätze sind sehr gefragt und oft mit langen Wartezeiten verbunden. Die sorgfältige Vorbereitung und Netzwerkarbeit von Heike Langerwisch und ihren Kolleg*innen ermöglicht es jedoch häufig, schneller einen Platz zu bekommen. „Das ist besonders hilfreich, wenn ein Klient nicht zuverlässig oder geduldig genug ist, um bei der Klinik regelmäßig anzurufen. Die Menschen haben in ihrem Zustand oft nicht mehr die Kraft dazu. Daher ist es gut, dass wir uns dann einschalten.“

Dass der Drogenkonsum sowohl bei Erwachsenen als auch bei Jugendlichen stark zunimmt, macht sie zwar traurig, verwundert sie jedoch nicht. Besonders im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie war es durch die mangelnden sozialen Kontakte und beschränkte Präventionsarbeit nur eine Frage der Zeit. Eine besondere Risikogruppe sind Einwanderer und Flüchtlinge. Sie kommen mit großen Erwartungen nach Deutschland, werden jedoch durch eine bürokratische Wand, eine fehlende Arbeitserlaubnis und Wartezeiten massiv ausgebremst. Vielen von ihnen fehlt dann die nötige Kraft, um weiterzumachen. „Menschen, die als Einwanderer schon länger hier sind, aber nicht vorankommen, haben bereits ein Suchtproblem, da sie es nicht anders aushalten. Wenn es keine Drogen sind, dann greifen sie zum Alkohol, um zu vergessen und sich zu betäuben, um die Realität auszuhalten.“ Im Allgemeinen steht den Menschen, die konsumieren wollen, viel zur Verfügung. Es ist einfach, an Drogen heranzukommen, vom Alkohol ganz zu schweigen. Seit der Corona-Pandemie erlebt die Drogenszene zudem, neben den immer aktuellen illegalen Rauschmitteln, eine Renaissance der Betäubungsmittel. Es werden Medikamente wie Ketamin, Methadon oder Tilidin illegal gehandelt. Je nachdem, was gerade zur Hand ist, wird dann durcheinander konsumiert. Die Langzeitschäden, die durch so eine Art des Konsums entstehen können, sind horrend. Um diese durch erneuten Konsum zu vermeiden, steht die Tür der Beratungsstelle für die Klient*innen immer offen. Hinzu kommen Angebote, die sowohl präventiv wirken als auch eine Möglichkeit zur Beschäftigung und zum Kontakte knüpfen bieten. Denn aus Erfahrung wissen die Berater*innen, dass viele Rückfälle aus Langerweile durch mangelnde Struktur entstehen.

In der Beratungsstelle finden daher regelmäßig Frühstückstreffen statt, bei denen sich Gruppen zum Bowlen oder Wandern verabreden. Außerdem gibt es eine Werkstatt, wo Interessierte unter Anleitung von Mitarbeiter*innen kleine Möbel oder Holzfiguren bauen. Von Zeit zu Zeit gibt es dann Momente, für die sich die ganze Arbeit von Heike Langerwisch und ihren Kolleg*innen lohnt: Wenn das Telefon klingelt und ein ehemaliger Klient sich nach erfolgreicher Behandlung meldet, nur um zu sagen „Ich wollte nur sage, dass es mir gut geht.“

Kontakt

Caritas Contakt Cafe Rathenow
Adresse Große Milower Straße 17
14712 Rathenow
Telefon 03385 496949
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Es geht darum, Menschen zu unterstützen, indem man herausfindet, was sie wirklich brauchen. Dazu muss man sie da abholen, wo sie sind.
Heike Langerwisch

Herzberger Tafel – Weit mehr als nur Lebensmittel

Die Tafel Herzberg im Landkreis Elbe-Elster ist weit mehr als nur eine herkömmliche Tafel. Seit Jahren bietet sie den Bewohnern der umliegenden Gemeinden ein breites Angebot an praktischen Hilfen und sozialer Beratung.

Otto Tischler ist ein gefragter Mann. Während er durch die verschiedenen Räume der Tafel Herzberg führt, wird er immer wieder von Kollegen angesprochen, die ihm dringend etwas mitteilen müssen oder eine Frage stellen wollen. Es geht um Fahrdienste, Lebensmittellieferungen und viele weitere Projekte. Denn: Die Herzberger Tafel ist weit mehr als eine reine Ausgabestelle für Lebensmittel. Sie dient zur Unterstützung von Bedürftigen und ist für die Region häufig auch der Kontaktpunkt für weitere Angebote.

Lebensmittel werden auch in Herzberg, einem kleinen Städtchen in Südbrandenburg zwischen Jüterbog und Elsterwerda, ausgeteilt. Von frischem Gemüse über Fleisch-und Milchprodukte bis hin zur Tiefkühlkost ist von allem etwas dabei. Die Lebensmittel kommen sowohl aus den eigenen Tafelgärten, als auch von Unternehmen und Spendern. Zu den langjährigen, zuverlässigen Partnern zählen beispielsweise die Nudelfabrik in Falkenberg und die ODW Molkerei in Elsterwerda. „Die Qualitätsparameter sind in Deutschland sehr hoch. Ist ein Produkt nur ein wenig zu süß darf es nicht im normalen Handel verkauft werden und kommt zur Tafel. Auch Obst und Gemüse, das nicht ästhetisch genug für den Supermarktverkauf ist, landet oft bei uns“, erklärt Otto Tischler. Doch neben der Lebensmittelausgabe gibt es auch eine Börse für Möbel, Bücher und Schreibwaren, eine Kleiderkammer und eine Fahrradwerkstatt. Kein Wunder also, dass bei der Tafel Herzberg ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Ins Leben gerufen durch den Arbeitslosenverband Deutschland, welcher seither als Träger der Einrichtung agiert, bietet das frühere Grundschulgebäude nun eine Anlaufstätte für hilfsbedürftige Menschen. Denn diese Tafel ist weit mehr: Die Ausgabestelle dient zur Unterstützung von Bedürftigen, ist aber häufig auch der Kontaktpunkt für weitere Angebote im Haus.

Im Haus befindet sich zum Beispiel auch das Büro des Projekts „Pluspunkt im Alter“, das zum Ziel hat, Senioren im Landkreis Elbe-Elster aus der Einsamkeit zu holen und neue Beteiligungsmöglichkeiten zu schaffen. Das von der EU geförderte Projekt versteht sich als Brücke zwischen den Möglichkeiten in der Region und den Menschen. Mit einer Laufzeit von drei Jahren bietet es unter anderem auch Sprechstunden zu Alltagsproblemen sowie Hilfestellung bei bürokratischen Anträgen an und arbeitet darüber hinaus auch mit Seniorenvereinen in der Umgebung zusammen. Auf der gleichen Etage des Projektbüros befindet sich auch noch eine Schulden-und Insolvenzberatung, sowie eine Bürgerberatung, die bei Fragen und Prüfungen zum Arbeitslosengeld behilflich sein kann. Es findet eine ständige Verknüpfung zwischen den Angeboten im Haus statt. So bietet die Tafel ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Arbeitslosenverband und der Bürgerberatung Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose. Mit einer sogenannten Maßnahme zur Aktivierung und Eingliederung (MAE) soll ihnen Struktur im Alltag und ein Selbstwertgefühl zurückgegeben werden.

Ein Beispiel dafür sind die Tafelgärten, in denen an verschiedenen Standorten bis zu zwölf Menschen unter der Koordinierung einer ehrenamtlichen Helferin arbeiten. „Wir haben in den Gärten viele Leute, die sich für Gärtnerei und Pflanzen interessieren und durch diese Arbeit wissen und spüren, dass sie gebraucht werden“, sagt Otto Tischler. Auch im Gebäude selbst arbeiten die unterschiedlichsten Menschen mit verschiedensten Fähigkeiten. Viele von ihnen kommen vom Bundesfreiwilligendienst, absolvieren eine MAE oder engagieren sich ehrenamtlich. Eine junge Frau aus Afghanistan arbeitet beispielsweise als Näherin in der Kleiderkammer und lernte auf diesem Wege Deutsch. „Wir wollen alle Menschen mitnehmen, auf jeder Ebene. Wenn wir das nicht schaffen, finden die Bedürftigen nicht die Kontakte, die sie brauchen. Sie müssen aus ihrer Wohnung rauskommen und Struktur bekommen, gerade wenn sie Arbeitslos oder im Rentenalter sind.“, erklärt Otto Tischler. Er hilft, wo er nur kann und spricht mit großer Passion über seine Arbeit bei der Tafel, die er seit seinem Einstieg im Jahr 2016 auf ehrenamtlicher Basis ausführt. Im Moment absolviert er noch eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Seelsorger. „Die Leute suchen häufig auch noch ein Gespräch. So können wir mitbekommen, welche Probleme sie haben über die sie unbedingt sprechen sollten. Ich möchte daher Seelsorge verstehen und erlernen. Wenn die Menschen in unsere Einrichtung kommen, wollen sie nicht geklammert und vielleicht nicht so genau befragt werden, suchen aber dennoch indirekt Unterstützung“, erzählt er. Wenn er es sich aussuchen könnte, würde er in diesem Zusammenhang gerne eine psychologische Beratung im Haus anbieten, mit der Tafel als Kontaktpunkt für Hilfsbedürftige.

Eine große Problematik bei solchen Wünschen ist die unbeständige Finanzierung der Tafel, welche die Ambitionen von ihm und seinen Kollegen immer wieder ins Stocken geraten lassen. Der Arbeitslosenverband ist grundsätzlich auf Projekte und Hilfen der Organisationen oder des Landkreises angewiesen. Es gibt keine feste Haushaltsplanung und somit keine konstante finanzielle Absicherung für die Tafel und ihre erweiterten Angebote. „Es gibt Projekte, die punktuell unterstützen und dann wieder wegbrechen. So können wir nicht langfristig planen, arbeiten und aufbauen. Eine Ehrenamtskoordination wäre bei uns beispielsweise sehr wichtig. Wenn die Gelder dafür aber maximal drei Jahre zur Verfügung stehen, ist die Arbeitsstelle befristet und es ist einfach zu wenig Zeit, um ein großes Netzwerk aufzubauen.“

Doch es kommt auch viel Hilfe von außen. Die Stadt unterstützt die Tafel, indem sie ihr das ehemalige Schulgebäude zum niedrigen Preis vermietet. Die Sparkasse spendet regelmäßig und ist der erste Ansprechpartner, wenn es um die Finanzierung eines Projektes geht. Besonders dankbar ist Otto Tischler für das große ehrenamtliche Engagement innerhalb der Tafel: „Für all das, was die Ehrenamtlichen für uns leisten, sollten sie aber eigentlich auch entsprechend unterstützt werden, sowohl organisatorisch als auch finanziell.“ Denn auch so nimmt man die Leute mit und hält sie. So ist Otto Tischler das Dankeschön seinerseits besonders wichtig, wenn er die Tafel am Abend mit seinen Kolleg*innnen und Helfer*innnen beendet. „Ich danke den Kollegen jedes Mal. Das gehört sich einfach und ist so wichtig.“ Denn die Tafel lebt nicht nur von ihren zahlreichen Angeboten, sondern vor allen Dingen von den Menschen, die sie mit viel Engagement und Herzblut am Laufen halten.

Kontakt

Arbeitslosenverband Deutschland, Landesverband Brandenburg e.V.
Adresse Lugstraße 3
04916 Herzberg
Telefon 03535 - 245444
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Ob arbeitslos oder Rentner, wir wollen alle Menschen mitnehmen, ihnen Kontakt und Struktur bieten. Gerade wenn es schwer ist.
Otto Tischler

Migrationssozialberatung – Der lange Weg zum neuen Leben

In Deutschland zu wohnen steht in den Köpfen vieler Migrant*innen für ein besseres Leben. Doch der Weg zu diesem Leben ist häufig schwer und lang. Die Migrationsberatungsstelle in Fürstenwalde unterstützt Flüchtlinge dabei, den Bürokratiedschungel zu durchqueren und einen Platz im Leben in Deutschland zu finden.

Ein junger Mann flüchtet im Jahr 2011 aus Somalia und landet in einer Unterbringung in Deutschland. Einer der vielen Klienten von Thomas Thieme, dem Leiter der Migrationsberatungsstelle der Caritas in Fürstenwalde. Thieme und seine Kolleg*innen kümmern sich dabei nicht nur um aufenthalts- oder asylrechtliche Fragen, sondern helfen auch dabei, sich zu integrieren. Derzeit betreut seine Beratungsstelle um die 1.000 Personen.

Zur Migrationsberatung als fachliche Unterstützung gehören neben der Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst auch die Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer, der Jugendmigrationsdienst und die unterbringungsnahe Migrationsarbeit in den Einrichtungen in Schöneiche und Bad Saarow. Hinzu kommen Eingliederungsprojekte, die dabei helfen, sich im deutschen Arbeitsmarkt zurechtzufinden. All diese Angebote beziehen sich auf den Migrations-und Integrationsprozess. Durch die unterschiedlichen Schwerpunkte arbeiten die Fürstenwalder Kolleg*innen der Caritas meist zu zweit oder zu dritt an einem Fall. „Uns ist sehr daran gelegen, dieses innere Netzwerk zu pflegen, da es nichts Schlimmeres gibt, als wenn an einem Klienten aus verschiedenen Richtungen gezerrt wird“, sagt Thomas Thieme. Daher arbeiten die meisten Dienste nach dem sogenannten Case-Management-Prinzip. Hierbei stimmt ein federführender Beratungsdienst die grundlegenden Ziele ab. Zu den verschiedenen Schwerpunkten, die demnach bearbeitet werden müssen, werden Fachkräfte hinzugezogen. Voraussetzung für alle Mitarbeitende der Migrationsberatung ist die Beherrschung von mindestens einer gebräuchlichen Fremdsprache, die von den meisten Klient*innen verstanden wird. Das sind vornehmlich die Sprachen Englisch, Russisch, Französisch und Arabisch. Die ebenso wichtigen Kenntnisse in Persisch sind derzeit rar und werden dringend gesucht, da besonders viele Migranten aus dem Iran oder Afghanistan persische Dialekte wie Dari oder Paschtu sprechen. Für einige ehemalige Klient*innen ergibt sich sogar die Chance, beim Migrationsdienst zu arbeiten. Eine davon ist Majida El-Mohamad, die mit ihren muttersprachlichen Arabisch-Kenntnissen seit Jahren ein wichtiger Baustein im Team der Beratungsstelle ist. Elena Burghard ist Spätaussiedlerin aus Kasachstan und spricht dementsprechend fließend Russisch. Doch nicht nur mit ihren Sprachkenntnissen können diese Kolleginnen viel bewirken, weiß Burghard: „Wir haben ähnliche Geschichten und Erlebnisse wie die Menschen, die zu uns kommen. Wir begegnen ihnen auf Augenhöhe.“ Nicht selten sind besagte Erlebnisse mit Erinnerungen verbunden, mit denen die Betroffenen sich ungern konfrontiert sehen. Der Kulturschock allein ist eine Herausforderung, auch ohne Trauma oder schwere Flucht. Wenn dann eine psychologische Beeinträchtigung dazukommt, wird es noch komplizierter. „Es steht keinem auf der Stirn geschrieben, dass er oder sie traumatisiert ist. Das sind sehr intime Dinge, über die man nicht mit jedem spricht“, erklärt Thomas Thieme. So versuchen die Menschen also, mit ihrem neuen, fremden Alltag fertig zu werden und arbeiten das Erlebte selten auf. Dadurch entstehen Verdrängungsmechanismen, die zu Vermeidungstaktiken führen. Alles, was zu Erinnerungen führen könnte, wird vermieden. In ganz extremen Fällen trauen sich die Menschen nicht mehr auf die Straße zu gehen. Solch ein Verhalten schränkt den Alltag extrem ein und erschwert gleichzeitig den Integrationsprozess erheblich. „Ich habe es schon mehrfach erlebt, dass ein Asylersuchen abgelehnt wird, weil eine offensichtlich ausgedachte Geschichte vor Gericht erzählt wurde, nur um nicht über das Erlebte reden zu müssen“, berichtet Thieme.

Die Klient*innen, die nach einer Ablehnung nicht ausreisen oder abgeschoben werden, bleiben im Anschluss häufig im Ungewissen und warten manchmal zehn Jahre oder länger auf ihre Aufenthaltsgenehmigung. Thomas Thieme kennt viele von ihnen und bewundert sie für ihr Durchhaltevermögen. Die Aufgabe von ihm und seinem Team ist es, immer wieder aufzufangen und zu motivieren. Er erklärt diesen Prozess anhand einer Sinuskurve. Wenn die Menschen nach Deutschland kommen, sind sie euphorisch. Dann geraten sie an die Sprachbarriere, stoßen gegen eine bürokratische Wand und dürfen nicht arbeiten. Es folgt der erste Frust und sie landen in einem Tal. Wenn man sie in diesem Tal nicht auffängt, dann bleiben manche dort für immer hängen. Genau diese Entwicklung versucht die Migrationsberatung bei so vielen Menschen wie möglich zu verhindern. Das funktioniert meist nur mit langjähriger, empathischer Arbeit. „Es folgt die nächste Euphorie und der nächste Frust. Die Geflüchteten brauchen immer wieder einen Motivator, zu dem sie gehen können, der ihnen hilft und dem sie vertrauen. Daher ist Kontinuität und Geduld für unsere Arbeit sehr wichtig“, erklärt Thomas Thieme.

An der Geduld scheitert die Arbeit selten. Bei der Kontinuität werden den Beratungsstellen immer wieder Steine in den Weg gelegt. So werden die Dienste in der Migrationsberatung häufig alle vier Jahre neu ausgeschrieben. Bei einem Trägerwechsel fängt der neue Träger dann wieder ganz von vorne an, muss sich Zugang zu den Klienten verschaffen, sich sozialräumlich Vernetzen, Kooperationsbeziehungen aufbauen und qualifizierte Mitarbeiter finden. Letzteres stellt aufgrund des Fachkräftemangels und den aus der Situation resultierenden befristeten Arbeitsverträgen eine besondere Herausforderung dar. Hinzu kommen immer wieder drohende Budgetkürzungen, wie ein möglicher Wegfall der Migrationssozialberatung in der wichtigen Phase nach der Anerkennung als Flüchtling (MSA 2). Doch auch Flüchtlinge, die bereits länger in Deutschland leben, sind häufig auf die Beratungsstellen angewiesen. „Wenn man sich verschiedene Theorien der Migrationssoziologie anschaut, dann ist man nach 3 Jahren als Flüchtling nicht integriert. Das spannende an unserem Job ist, dass wir Menschen dabei begleiten, ihre innere Auseinandersetzung mit ihrem Integrationsprozess zu führen“, erklärt Thomas Thieme.

Diese innere Auseinandersetzung kann zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, die davon abhängig sind, wie weit sich die Menschen auf die Gegebenheiten in Deutschland einlassen können. Wo liegt ihre Schmerzgrenze? Ab wann gerät ihre eigene Identität in Gefahr? Wie geht man mit der Eingliederung der Kinder um? Der Kern der Migrationsberatung besteht darin, zu erfassen, wie es dem jeweiligen Klienten geht, wie bestmögliche Teilhabe erzielt werden kann und ob diese Teilhabe der Person auch genügt. „Basierend darauf müssen die Klient*innen für sich die Entscheidung treffen, ob sie hier auf Dauer leben und glücklich werden können, ob sie weiterziehen müssen oder zurück in ihr Heimatland gehen sollten“, fasst Thomas Thieme zusammen. Doch so viel Frustration und Hürden Thieme und sein Team auch erleben, es gibt zahlreiche schöne und erfolgreiche Geschichten. Dazu gehört auch die eines jungen Mädchens aus Afghanistan, das durch Fleiß und Entschlossenheit eine Ausbildung schaffte, oder eine junge Syrerin, die mittlerweile Politikwissenschaften an der Freien Universität zu Berlin studiert. Diese Geschichten machen immer wieder Mut und bekräftigen den Wert der aufzehrenden Arbeit für Thomas Thieme und sein Team.

Kontakt

Migrationssozialarbeit als Fachberatungsdienst, Migrationsberatung für erwachsene Zuwanderer und Jugendmigrationsdienst im Landkreis Oder-Spree beim Caritasverband für das Erzbistum Berlin e.V.
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Geflüchtete brauchen immer wieder einen Motivator, zu dem sie gehen können, der hilft und ihnen vertraut. Daher ist Kontinuität und Geduld für unsere Arbeit sehr wichtig.
Thomas Thieme

Familienberatung – Familie als System

Kaum jemand kommt an ihnen vorbei: Super-Mamas auf Instagram, perfekte Familien-Blogs und neuste Ratgeber auf Facebook. Welchen Druck diese schöne digitale Welt auf Eltern ausübt, ist täglich in der DRK-Erziehungs-und Familienberatung (EFB) im Landkreis Oberhavel zu erfahren.

Annette Berg und Peter Dietrich sind Teil eines multiprofessionellen Teams in der Erziehungs-und Familienberatung Oranienburg. Neben der Erziehungs- und Paarberatung liegt ein großer Schwerpunkt auf der Trennungs-und Scheidungsbegleitung. Während die Eltern oft mit sich selbst beschäftigt sind und über Erziehungsfragen sowie Umgangs-und Sorgerecht diskutieren, widmen sich die Berater*innen häufig der Frage, wie es den Kindern in dieser Situation geht.

„Kinder finden bei uns einen Ankerplatz, damit sie Dinge ansprechen können, die erstmal vor den Eltern unter Verschluss bleiben“, erklärt Peter Dietrich. An diesen Ankerplatz erinnern sich die Kinder und Jugendlichen häufig auch später, wenn sie selbst vor den ersten eigenen Entscheidungen stehen. Daher bietet die EFB auch die Beratung für junge Volljährige an, beispielsweise zu Ausbildungsfragen. Auch Eltern kommen immer wieder nach ein paar Jahren auf das Beratungsangebot zurück. Diese „Wiederanmelder“, wie sie das EFB-Team nennt, machen laut Peter Dietrich bis zu einem Drittel der  Ratsuchenden aus.

Neuanmelder finden sowohl durch ein gut gepflegtes Netzwerk der Angebote im Landkreis als auch durch Empfehlungen von Bekannten und Freunden, Erzieher*innen und Lehrer*innen oder anderen Berater*innen zur EFB. Seit bereits 30 Jahren ist die Beratungsstelle mit ihren drei Standorten in Oranienburg,  Hohen Neuendorf und Gransee aktiv und dementsprechend bekannt. Ihre Aufgaben sind Pflichtleistungen, die im Bundesgesetz klar definiert sind und der Landkreis Oberhavel übernimmt die Finanzierung der Beratungsstelle. Dadurch ist das Budget zwar vorhanden, doch auch klar begrenzt, was kaum größeren Spielraum in der Anzahl der geleisteten Stunden sowie den Hilfen, die das Team leisten kann, bietet. Gerade in der Coronakrise wären erweiterte Angebote aus Sicht der Berater*innen sehr wichtig. „Mit den veränderten Problemlagen, einem erkennbaren Schwerpunkt auf psychisch stark irritierte, wenn nicht sogar erkrankte Kinder und Jugendliche, müssen wir schauen, ob wir stärker in den therapeutischen Bereich gehen sollten“, sagt Peter Dietrich. Dieser therapeutische Bereich darf von der EFB jedoch laut Gesetz nicht angeboten werden. Unter anderem liegt das daran, dass für eine Therapie ein ärztlicher Befund ausgestellt werden muss, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt. Doch nicht jedes Kind ist gleich psychisch krank, wenn es Hilfe braucht. Eine Erweiterung des Angebots wäre daher ein Schritt in die richtige Richtung. Einige Mitarbeiter der EFB sind approbierte Psychologen und setzen sich daher für einen therapeutischen Ansatz in der Beratungsstelle ein. „Wir nutzen therapeutische Werkzeuge und therapeutisches Verständnis, da wir mit innerseelischen Prozessen arbeiten. Wir heilen nicht eine Krankheit, so wie man Therapie nach Krankenkassenrecht definieren würde, aber wir arbeiten auch nicht rein pädagogisch“, erklärt Annette Berg.

Die Berater*innen der EFB erleben Kinder mit Angststörungen, die aus der pandemischen Lage hervorgehen und sich dann auf andere Lebensbereiche, beispielsweise bei Zukunftsfragen, ausweiten. Dazu gestalteten sich häufig die Übergänge in die nächste Klassenstufe als schwierig. „Ich hatte einen 9-jährigen Jungen in der Beratung, der weder richtig lesen noch schreiben konnte, da er noch nie richtig in der Schule war. Homeschooling brachte kaum etwas, da die Eltern wenig Zeit hatten. Das ist leider kein Einzelfall“, weiß Peter Dietrich.

Auch Partnerschaften waren während der Pandemie harten Tests ausgesetzt, die manche Paare bewältigen können und andere leider nicht. Eltern sind oft überlastet, wenn das gesamte Unterstützungsnetzwerk aufgrund von Kontaktbeschränkungen eingeschränkt ist. Der allgemeine Stress wirkt sich negativ auf die gesamte Familie aus und kann zu Verhaltensmustern führen, die Eltern von ihren Kindern so nicht kennen. Genau hier an diesem Punkt muss Familie als ein System betrachtet werden und sind neben Eltern und Kindern unbedingt auch das weitere Umfeld in der Beratung zu berücksichtigen. Die Erfahrung zeigt, dass das in der herkömmlichen Therapie häufig nicht so gehandhabt wird. Gerade die Mischung aus Beratung und therapeutischen Ansätzen hilft nicht nur den Familien, sondern entlastet auch das gesamte Hilfesystem. „Wir versuchen, gemeinsam mit den Eltern und den Kindern und Jugendlichen zu verstehen, wo genau das Problem liegt. Dabei geht es auch darum, welche Person was zu den Konflikten beiträgt, und das sowohl in der Familie, als auch außerhalb. Es geht darum, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln“, erklärt Annette Berg. Aus den zahlreichen Gesprächen werden dann neue Perspektiven und Ideen entwickelt, die den Familien bei der Konflikt-und Problemlösung helfen können. Dieser Prozess kann sich über mehrere Beratungsstunden hinziehen, da besonders die Eltern Schwierigkeiten haben, sich von alten Mustern zu lösen und kämpfen mit dem Gefühl, bei der Erziehung ihrer Kinder gescheitert zu sein. Eine der ersten Aufgaben der Berater*innen besteht daher häufig darin,  mit den Eltern zu besprechen, dass es nicht um richtig oder falsch geht.

Die Arbeit mit Kindern ist in dieser Hinsicht oft einfacher. Sie fühlen sich meist sehr schnell wohl und werden dementsprechend gelöster. Oft haben sie durch ihr junges Alter einen anderen, und manchmal klareren Blick auf die Situation in der Familie und ihre Probleme. Und das oft, ohne das man sie direkt danach fragt. „Ich kann mich an ein Mädchen erinnern, sie war vielleicht 10, die mit ihren Eltern hier saß und auf die Frage, was sie sich wünsche, sagte ‚ich wünsche mir das meine Eltern mich so akzeptieren wie ich bin‘. Da musste niemand mehr irgendwas sagen. Das finde ich faszinierend, diesen natürlichen, klaren Blick für die Dinge“, sagt Annette Berg.

Ein Grund, warum sich die Familien in der Beratung der EFB schnell wohlfühlen, ist die Sicherheit, die ihnen in der Beratungsstelle vermittelt wird. Die Schweigepflicht betrifft nicht nur das, was besprochen wird, sondern garantiert auch, dass keine Auskunft darüber gegeben wird, wer genau in die Beratungsstelle kommt. Auch gegenüber dem Jugendamt geben die Berater*innen keine genaue Auskunft, außer in Notfällen, wie beispielsweise beim Thema Kinderschutz. Doch auch hier versucht die EFB, gemeinsam mit den Eltern Auswege aus der schwierigen Situation zu finden, als auch den Weg zu weiteren Hilfen z.B. des Jugendamtes zu bahnen. , . Die Zusammenarbeit mit den Behörden und dem Landkreis, betonen Peter Dietrich und Annette Berg, läuft sehr gut. Als die EFB beispielsweise feststellte, dass es in der Region besonders viele Fälle von Trennungsfamilien gibt, in denen viel gestritten wird, wurde eine Zusatzförderung für die Unterstützung von solchen sogenannten Hochkonfliktfamilien genehmigt. „Diese Hochkonfliktfamilien beschäftigen die Dienste und die Gerichte sehr stark, daher wurde jetzt erstmalig ein Budget ausgereicht für die Bearbeitung und Unterstützung dieser besonderen Familiengruppe“, erklärt Peter Dietrich. Auch die Arbeit mit solchen Fällen hat teilweise therapeutische Ansätze, insbesondere bei der Arbeit mit den Eltern. Und für die involvierten Kinder ist es in solchen extremen Konfliktsituationen ebenfalls sehr wichtig, über das zu sprechen, was sie erlebt haben. Nur so können die Berater*innen der EFB dabei helfen, die schlechten Erlebnisse zu bewältigen.

Kontakt

DRK-Erziehungs- und Familienberatungsstelle
Adresse Albert-Buchmann-Str. 17
16515 Oranienburg
Telefon 03301 - 530107
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Wir versuchen, gemeinsam mit den Eltern und den Kindern und Jugendlichen zu verstehen, wo genau das Problem liegt. Es geht darum, ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln.
Annette Berg, Peter Dietrich

Frauenhaus – Wenn das zu Hause nicht mehr sicher ist

Der Verein Neuruppiner Frauen für Frauen setzt sich seit Jahren für den Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt ein. Michaela Rönnefahrt arbeitet im dazugehörigen Frauenhaus und weiß, was notwendig ist, um effektiv gegen häusliche Gewalt vorzugehen.

Jede dritte Frau in Deutschland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt. Die meisten Vorfälle passieren Zuhause, oft verübt durch den eigenen Partner. Michaela Rönnefahrt erlebte viele Frauen, die überzeugt waren, ihnen könne das nicht passieren. „Häusliche Gewalt ist meist ein schleichender Prozess. Oft wissen die Frauen gar nicht, wann es angefangen hat und können nicht fassen, was mit ihnen passiert.“

Im Jahr 1990 wurde der Verein Neuruppiner Frauen für Frauen mit dem Ziel gegründet, ein Frauenhaus ins Leben zu rufen. Mit 17 Plätzen bietet das Haus in Neuruppin nicht nur Schutz und Zuflucht für Frauen und deren Kinder vor häuslicher Gewalt, sondern deckt auch beratende und präventive Maßnahmen ab. Mit der Interventionsstelle steht das Frauenhaus als Ansprechpartner für die Polizei zur Verfügung, wenn diese mit einem Einsatz wegen häuslicher Gewalt konfrontiert ist. Im besten Falle ermutigen sie das Opfer zur Datenweitergabe an das Frauenhaus, welches sich dann bei der Betroffenen meldet. Zusätzlich dazu bietet das Haus einen 24-stündigen Bereitschaftsdienst sowie die Betreuung der Kinder der Bewohnerinnen ab.

Der vierte Aufgabenbereich ist die Beratungsstelle, die auch psychosoziale Prozessbegleitung beinhaltet. Sie befindet sich an einem anderen Standort, um die Anonymität des Frauenhauses zu wahren. Sie dient auch als Nachsorge für Frauen, die aus dem Frauenhaus ausgezogen sind und noch Unterstützung und Begleitung brauchen. Das gilt sowohl bei gerichtlichen Verfahren wie Sorgerecht und Umgangsrecht als auch für die eigene Stabilität der Frauen im Alltag des Neuanfangs. „Es ist zum Beispiel sehr schwierig, angemessenen Wohnraum zu bekommen“, sagt Michaela Rönnefahrt. „Kleine Wohnungen für alleinstehende Frauen sind in unserer Region wirklich sehr rar. Mütter mit Kindern, die schon in der Schule integriert sind, wollen ungern aufs Dorf ziehen.“ Doch nicht nur für ehemalige Bewohnerinnen steht die Tür der Beratungsstelle offen. Auch Frauen, die zwar keinen Aufenthalt im Frauenhaus benötigen, jedoch Erfahrungen mit häuslicher Gewalt gemacht haben und Hilfe brauchen werden durch Michaela Rönnefahrt und ihre Kolleginnen unterstützt. Zusätzlich können sich Angehörige, Erzieher*innen oder Ämter ebenfalls an die Beratungsstelle wenden.

Eine Herausforderung für die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses ist es, betroffene Frauen aus allen Schichten zu erreichen. Häufig hindern dabei patriarchale und altmodische Denkweisen am Umdenken bei den Frauen. Für viele dürfen die Schwierigkeiten zu Hause nicht nach außen dringen und gehören zum Lebensalttag einfach dazu. Dabei merken die Frauen nicht mehr, dass Grenzen überschritten werden. „Weder Armut noch Suchtprobleme sind führende Risikofaktoren, um selber Opfer oder auch Täter häuslicher Gewalt zu werden. Es sind meist eigene Gewalterfahrungen im Kindes-und Jugendalter der Auslöser“, erklärt Michaela Rönnefahrt. Jedes Kind, das gemeinsam mit der Mutter zu ihr ins Frauenhaus kommt, hat bereits ein schweres emotionales Päckchen mit sich herumzutragen. Zwar ist die Zeit im Haus für die Kinder oft eine komplette Entlastung und Entspannung, doch sie zeigen nicht selten bereits Verhaltensauffälligkeiten. Durch einen männlichen Auszubildenden in der Jungen-und Mädchengruppe wird versucht, ihnen ein positives männliches Bild zu vermitteln. Doch das allein reicht häufig nicht. „Da ich mittlerweile schon fast eine Generation hier tätig bin, kriege ich mit, dass die Kinder von einst sowohl als Täter, als auch als Opfer wieder zu uns zurückkommen“, berichtet Rönnefahrt. Daher sieht sie die Priorität im deutlichen Ausbau des Präventionsbereichs, damit die häusliche Gewalt in Deutschland abnimmt. Dazu sind bessere Hilfestrukturen und eine offene Diskussion notwendig, mit der man nicht nur die Betroffenen, sondern auch die breite Gesellschaft erreicht. So entstünde ein Selbstverständnis für größere Achtsamkeit untereinander.

Ein wichtiger Aspekt ist in diesem Zusammenhang die Istanbul-Konvention. Als Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt wurde es bereits im Jahr 2011 vom Europarat verabschiedet. In Deutschland trat es 2018 in Kraft. Das Abkommen sieht vor, zu verhüten, schützen, unterstützen und zu verfolgen. Zum einen muss also geschaut werden, wo man die Menschen abholt und wann die Prävention einsetzen muss. Zum anderen ist dieses Abkommen auch mit der sogenannten Täterarbeit verbunden, die den Täter dazu bringen soll, ihr Handeln eigenverantwortlich zu hinterfragen. Bei den gerichtlichen Entscheidungen zu Umgang und Sorgerecht sind solche Maßnahmen und die draus resultierenden fachlichen Einschätzungen sehr wichtig. Allerdings gibt es in Brandenburg nur zwei Stellen, bei denen diese Beratung angeboten wird. „Die Richter betonen immer wieder, dass sie gerne zu den Vätern sagen möchten, dass sie sich der Täterarbeit widmen sollen, bevor sie überhaupt wieder Umgang mit ihrem Kind haben können. Doch das funktioniert nicht, wenn so wenig Anlaufstellen da sind.“

Für Frauenhäuser ist der Punkt der planungssicheren Finanzierung entscheidend. Es gibt aktuell keine gesicherte und auskömmliche Finanzierung. Nur so können ausreichend Plätze im Haus geschaffen werden, die für alle Frauen kostenlos zur Verfügung stehen. Zudem bedarf es deutlich mehr qualifiziertes Personal, das aber auch entsprechend seiner Ausbildung bezahlt werden muss. Momentan ist das Frauenhaus mit zwei Mitarbeiterinnen in Vollzeit, einer in Teilzeit und dem bereits erwähnten Auszubildenden im Jungen-und Mädchenbereich unterbesetzt. Es fehlt sowohl an Fachpersonal für die Beratung und Kinderbetreuung als auch an Kapazitäten für den Bereitschaftsdienst. Mit geschultem, ehrenamtlichem Personal lässt sich einiges abdecken, jedoch ist ein gewisses fachliches Wissen notwendig um das, was die Frauen erzählen, auszuhalten. Wenn eine die Klientin merkt, dass ihre Geschichte die Mitarbeiterin überfordert, traut sie sich kaum noch, etwas zu erzählen. Daher ist die Selbstvorsorge unter den Kolleg*innen wichtig. Allerdings kann diese nur untereinander – gegebenenfalls mit Supervision - stattfinden, denn Datenschutz ist das höchste Gebot; für die Sicherheit der Frauen und der Mitarbeiterinnen.
„Niemand möchte das in seiner Region eine Person zu Schaden kommt. Das funktioniert nur, wenn man zeitliche und personelle Kapazitäten hat und jemand die Verantwortung übernimmt indem er sich das auf die Fahne schreibt.“, fasst Rönnefahrt zusammen. Das gilt aus ihrer Sicht sowohl für die Landes-und Bundespolitik als auch für die Landkreise und Kommunen. Daher braucht es eine strukturierte und enge Zusammenarbeit mit allen beteiligten staatlichen Akteuren wie mit der Polizei, mit dem Jugendamt, dem Gesundheitsamt sowie Amtsgerichten und Staatsanwaltschaften. „Solche Prozesse dauern einfach lange. Man muss die gleiche Sprache sprechen, die gleichen Definitionen für bestimmte Begriffe haben, um dann Aufgabenbereiche und Strukturen der Zuarbeit zu schaffen.“ Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin ist man hier bereits gut aufgestellt und arbeitet konstant an Verbesserungen. Die Zusammenarbeit mit der Polizei wird durch Kooperationsgespräche und Schulungen gestärkt. Mit den Jugendämtern und verschiedenen Arbeitsgruppen zum Thema häusliche Gewalt ist das Frauenhaus bereits seit Jahren gut vernetzt.

Doch es wird auch über den Tellerrand der eigenen Region hinausgeschaut. In einigen alten Bundesländern bestehen mittlerweile sogenannte Interventionszentren für häusliche Gewalt. Durch solche Einrichtungen sind die Fälle in einigen Regionen um die Hälfte gesunken. Mit Kolleg*innen aus den Zentren findet ein intensiver Austausch statt. „Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Es spart Zeit, wenn wir schauen, wie man die Dinge, die woanders gut funktionieren, auf unsere Strukturen übertragen kann.“, erklärt Michaela Rönnefahrt. Oberste Priorität haben für sie bei allem Drumherum dennoch die Frauen, die bei ihr hilfesuchend vor der Tür stehen. Manchmal kommen sie mitten in der Nacht, noch im Schlafanzug und mit ihrem Kind auf dem Arm. In welchem Zustand auch immer sich die Frauen befinden, das erste was ihnen gesagt wird ist immer, dass sie sicher sind und keine Angst haben müssen. Dadurch das alle Mitarbeitenden wissen, wie die Prozesse und Strukturen von häuslicher Gewalt aussehen und in welcher Situation sich die Frau befindet, können sie jede Frau einzeln da abholen, wo sie geradesteht. Eine wichtige, nicht erlernbare Fähigkeit dafür ist Empathie. „Manche sind in der Lage zu reden, andere reden wild durcheinander. Wir vermitteln ihnen, dass wir das sortiert kriegen und das wir zuhören. Dann wird geschaut, was oberste Priorität hat und das Sicherheitskonstrukt wird abgefragt.“

Seit 23 Jahren sieht Michaela Rönnefahrt Frauen kommen und gehen. Jede bringt ihre eigenen Charaktereigenschaften mit. Oft verbinden die Frauen untereinander nur ihre Gewalterfahrungen. Jede Frau muss ihren individuellen Weg finden, doch im Frauenhaus stößt sie auf die notwendige Unterstützung und den Halt, sowohl von den Mitarbeitenden als auch von den anderen Mitbewohnerinnen. Nicht selten passiert es, dass enge Freundschaften aus dieser intensiven Zeit entstehen. Für einen Neuanfang sicherlich nicht die schlechtesten Voraussetzungen.

Kontakt

Neuruppiner Frauen für Frauen e. V.
Adresse Postfach 1338
16802 Neuruppin
Telefon 0173 - 5390419
[E-Mail anzeigen]
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Weder Armut noch Suchtprobleme sind die größten Risikofaktoren, um selber Opfer oder auch Täter häuslicher Gewalt zu werden. Es sind meist eigene Gewalterfahrungen.
Michaela Rönnefahrt

Hilfen für Alleinerziehende – Gemeinsam statt einsam

Ein Kind gemeinsam großzuziehen ist herausfordernd, als alleinerziehendes Elternteil steht man vor zusätzlichen Hürden. Im Verein der Selbsthilfegruppen Alleinerziehender (SHIA e. V.) unterstützt Birgit Uhlworm seit über 30 Jahren Einelternfamilien und kämpft für ihre Rechte mit Netzwerk-und Lobbyarbeit.

Mittlerweile ist SHIA weit mehr als nur Selbsthilfe, auch wenn die Selbsthilfegruppen nach wie vor fester Bestandteil der Arbeit von Birgit Uhlworm ist. Bereits vor der Entstehung des Vereins gründete sie selbst eine Gruppe in Königs Wusterhausen, wo sich heute auch die Landesgeschäftsstelle von SHIA befindet.

Ursprünglich ist Birgit Uhlworm gelernte Sprachmittlerin für Russisch und Polnisch, doch mit der Geburt ihrer Tochter konnte Sie den Beruf nicht mehr ausüben. Plötzlich war sie arbeitslos und alleinerziehend. Anfang der 1990er Jahre sieht sie eine Anzeige in einer Berliner Zeitung zur Gründung eines Vereins für Alleinerziehende. Sie selbst weiß, wie herausfordernd das Leben als alleiniges Elternteil sein kann. So beteiligt sie sich im Jahr 1991 an der Gründung des SHIA-Landesverbandes Brandenburg, dem Verein für Selbsthilfegruppen Alleinerziehender und ist heute Geschäftsführerin. Seit seiner Gründung setzt sich der Verein für die Stärkung, Chancengleichheit und Gleichstellung von Einelternfamilien ein. Er bieten Alleinerziehenden eine Plattform zur Beratung, zur Unterstützung und zum Austausch.

Birgit Uhlworm hilft Ratsuchenden, indem sie ihnen beratend zur Seite steht, Informationen zur Verfügung stellt und gegebenenfalls an andere Angebote weitervermittelt. Sie unterstützt die Alleinerziehenden bei der Wohnungssuche, beim Auftreiben kostengünstiger Möbel oder bei Anträgen für Zusatzleistungen. Zudem hat sie immer ein offenes Ohr für die Probleme des Alltags. Neben den Beratungen organisiert sie Veranstaltungen und Treffen wie Wochenendseminare, Familienbildungsurlaube oder Feiern für alleinerziehende Familien. Auch Plätze für kostengünstigere Ferienlager und Familienurlaube werden durch SHIA bei Bedarf vermittelt. Das eigene „SHIA-Familiencamp“ auf dem Freizeit-und Campingpark am Helenesee beherbergt zudem einen Wohnwagen mit vier Schlafplätzen für Einelternfamilien, der gemietet werden kann. „Wir stärken Alleinerziehende, indem man gemeinsam schaut, was sie brauchen und wer sie dabei unterstützen kann“, erläutert Birgit Uhlworm.

Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, so das Sprichwort. Die Vorstellung, dass man in einer Einelternfamilie alles alleine bewältigen muss, um eine gute Mutter oder ein guter Vater zu sein, ist aus der Erfahrung von Birgit Uhlworm kontraproduktiv. Darum ist es umso wichtiger, Alleinerziehende an Angebote wie eine Familienberatung oder eine Mutter-Kind-Kur zu vermitteln und sie zu bestärken, diese auch anzunehmen. „Letztendlich geht es darum, im Sozialraum der Alleinerziehenden ein Netzwerk aufzubauen, von dem sowohl sie als auch wir als Verband profitieren.“ Die Kontakte zu verschiedensten sozialen Akteuren und Behörden im Familienbereich sorgen nicht nur für eine schnelle Vermittlung. SHIA verschafft sich so zusätzlich das nötige Gehör, um insbesondere Alleinerziehenden eine höhere Interessenvertretung und somit mehr Priorität auf politischer Ebene zu ermöglichen. In vielen Netzwerken sind die Alleinerziehenden noch nicht entsprechend ihres Anteils in Brandenburg vertreten. Jede vierte Familie im Bundesland ist eine Einelternfamilie, doch oft sind es Paarfamilien, die bei Projekten wie dem Netzwerk Gesunde Kinder oder dem Bündnis für Familie zunehmend vertreten sind.

SHIA ist zudem ein Mitglied in der Landesarbeitsgemeinschaft der Familienverbände (LAGF), die sich für die Interessen und Rechte der Brandenburger Familien auf politischer und gesellschaftlicher Ebene einsetzt. Der Dialog, der zwischen den einzelnen Verbänden entsteht, hilft dabei, klare Ziele zu formulieren. Diese Ziele jedoch umgesetzt zu bekommen erweist sich sehr oft als schwierig. „Es ist immer eine Frage der Mittel und der Prioritätensetzung. Wir würden uns für die Familienpolitik eine viel größere Lobby wünschen.“, sagt Birgit Uhlworm. Sie selbst erklärt sich die fehlende Lobby an einer grundsätzlichen Entwicklung der Gesellschaft. Derzeit leben in weniger als der Hälfte der deutschen Haushalte auch Kinder, was die Familie als Lebensform zu einer Minderheit macht und so die Priorität der Familienpolitik negativ beeinflusst. Für Alleinerziehende ist es umso schwerer, sich Gehör zu verschaffen, denn eine weitere Hürde ist das gesellschaftliche und politische Stigma, dass oft mit ihnen verbunden wird. Eines davon ist die Sorge, dass die Zuschläge für Einelternfamilie nicht für die Kinder genutzt werden. „Es gibt unzählige Studien, die belegen, dass der Großteil der Eltern zuerst bei sich und ihren Bedürfnissen sparen, um das Geld für die Kinder zu nutzen.“, betont Birgit Uhlworm. Hinzu kommen traditionelle Rollenbilder von Familie, die nach wie vor fest in der Gesellschaft verankert sind. Die Mutter kümmert sich zu Hause um die Kinder, der Vater geht arbeiten und verdient das Geld. Dabei ist diese Art der Familie mittlerweile nur noch eine von vielen Familienformen. Doch hier findet ein langsames Umdenken statt, da die steigenden Lebenshaltungskosten selbst von Paarfamilien nicht mehr nur durch den männlichen Part gestemmt werden können.

Auch die Vereinbarung von Beruf und Familie rückt bei vielen immer mehr in den Vordergrund. Alleinerziehende jedoch stehen hier vor einem ganz anderen Problem, da die Kinderbetreuung bei Beginn einer Ausbildung oder eines Jobs oft schon zum Hindernis wird. „Wir haben eine Generation von zunehmend jungen Alleinerziehenden ohne Berufsausbildung, obwohl wir über Fachkräftemangel klagen. Dabei ist es nachgewiesen, dass Alleinerziehende – wenn sie erst einmal im Beruf sind – sehr zuverlässige und engagierte Arbeitnehmer*innen sind.“, erklärt Uhlworm. Immer wieder gibt es Projekte, die eine Einstellung von Alleinerziehenden in Form von Zuschüssen für die Arbeitgeber fördern. Sie alle sind sehr erfolgreich. Es bleibt jedoch bei Projekten, die nur auf eine bestimmte Zeit finanziert werden. Zwar ist SHIA kein Projekt, jedoch muss auch der Verein seine Förderung immer wieder neu beantragen. Die Finanzierung wird durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz (MSGIV) des Landes Brandenburg mit Sach-und Personalkosten gedeckt. Die Förderung sieht allerdings für den Verein nur eine Personalkostenstelle – die der Geschäftsführerin - vor. Gerade die wichtige Netzwerkarbeit wird meist nicht vom Schreibtisch aus getätigt, sondern verlangt persönliche Treffen mit Partner*innen und Bündnissen.

Die Förderung von SHIA wurde bis zum Jahr 2024 verlängert. Das zeigt, dass eine langfristigere Förderung möglich ist. Wie es jedoch nach 2024 weitergeht, ist ungewiss. Mit der unumgänglichen Befristung und den Konditionen, mit denen der Verband gefördert wird, ist es sehr schwierig, gut ausgebildete, junge Fachkräfte zu finden. Eine Regelförderung wäre die wünschenswerteste Lösung. So könnten Projekte und Angebote langfristig aufgebaut und zusätzliches Personal eingestellt werden. „Jeder will doch das Leben, was er führt, auch gut leben können. Es ist noch ein weiter Weg, bis Alleinerziehende und ihre Kinder als eine Familie wie jede andere gewertschätzt und gefördert werden.“, so Birgit Uhlworm.

Kontakt

SHIA-Landesverband Brandenburg
Adresse Bahnhofstr. 4
15711 Königs Wusterhausen
Telefon 03375 - 294752
[E-Mail anzeigen]
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Wir stärken Alleinerziehende, indem man gemeinsam schaut, was sie brauchen und wer sie dabei unterstützen kann.
Birgit Uhlworm